SYRIZA wurde mit dem Auftrag gewählt, die verheerende Austeritätspolitik, die das Land in die tiefste Krise seit Ende des Bürgerkriegs 1949 gestürzt hat, zu beenden. Eine Reihe von Gesetzen wurde ohne Zustimmung der nunmehr „Institutionen“ genannten früheren Troika verabschiedet, die bereits zahlreiche Veränderungen bewirkten.
Aus diesem Grund lud DIE LINKE. München am 16. Juni 2015 zum Vortrag von Paul B. Kleiser mit anschließender Diskussion ins EineWeltHaus, eine mit 70 Personen gut besuchte Veranstaltung.
Kleiser, Politologe, Autor, Griechenlandexperte und gerade erst von einem Griechenlandbesuch zurückgekehrt, skizzierte die aktuelle politische und wirtschaftliche Situation und beleuchtete, wie die EU weiterhin versucht, auf ihrer Austeritätspolitik zu beharren. Im Anschluss an den spannenden Vortrag folgte eine angeregte Diskussions- und Fragerunde.
Wie stellt sich momentan, im Juni 2015, die Lage dar?
Es entwickelt sich ein zynisches Pokerspiel zwischen Griechenland und den „Institutionen“: Die von Syriza geführte Regierung soll zu Kreuze kriechen! Hier zeigt sich eine tiefe Krise der europäischen Integration. Die EU steht heute für Austerität, diese Politik bedroht den Zusammenhalt der EU, nicht nur Griechenland ist betroffen, sondern auch Spanien, Großbritannien und der Süden allgemein.
In Deutschland wird gerne damit argumentiert, dass wir für Griechenland zahlen: Aber was hat denn die Griechenland-Hilfe die Deutschen bislang gekostet? Nichts! Bislang handelt es sich nur um gegebene Garantien: 54 bis 74 Milliarden Euro, hinzu kommen Kosten für Hilfsprogramme im Fall eines Ausschlusses wegen Massenverarmung sowie Kosten für einen Zerfall der EU, z.B. durch einen Austritt von Großbritannien.
Niemand in der neuen Regierung hat Regierungserfahrung, außerdem musste die Regierung Tsipras im wahrsten Sinne des Wortes bei null anfangen: aus den Ministerien wurde alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war. Die neuen Minister und deren Mitarbeiter mussten zunächst ihre eigenen Geräte benutzen und konnten auch nicht auf Dokumente, Pläne und Bilanzen zurückgreifen.
Die bislang von der Regierung verabschiedeten Gesetze kommen vor allem den Armen zugute, sie sollen eine, wenn auch bescheidene, Grundversorgung garantieren. Die Zustimmung der Bevölkerung zur neuen Regierung ist denn auch gewachsen: Wären heute Wahlen, hätte SYRIZA die absolute Mehrheit.
Die Situation in Athen schwebt zwischen Hoffen und Bangen. Immer mehr Läden stehen leer, seit ca. zwei Jahren sinken die Preise ständig; das Gesundheitssystem befindet sich in einem desaströsen Zustand, und man fürchtet, dass die Touristen ausbleiben. Trotzdem: Feste und Zusammensein werden zelebriert, die Hoffnung stirbt nicht.
In Zahlen ausgedrückt, stellt sich die Wirtschaftliche Stagnation seit 2013 (nach Einbruch um 25%) folgendermaßen dar:
- Industrie: I/2015 -2,5%, II/2015 – 3,1%, III/2015 – 3,2%, IV/2015 – 0,2%
- Auslastung 2014: 66,7% (I/2015 = 69,2%), D = 84,8%;
- Preise: 2013: – 0,9%, 2014 – 1,4%, I/2015 – 2,2%.
- Verschuldung: 325 Euro (2014 =177,1%, 2013 = 175,0%)
- Staatsdefizit: 2013: – 12,3%, 2014: – 3,5%
Das Verhältnis der neuen Regierung zur ehemaligen “Troika” kann man so beschreiben: Brüssel möchte unbedingt verhindern, dass SYRIZA Erfolge aufweisen kann!
Das kann man alleine schon an der von Griechenland verlangten Rückzahlung von Schulden im Jahr 2015 erkennen: verlangt werden 28 Mrd. Euro, davon über 17 Mrd. an ausländische Gläubiger (ca. 10 Mrd. IWF), davon im Juni 2015: 1,5 Mrd. im Juli und August jeweils 6,8 Mrd.
Bei den Verhandlungen scheint es inzwischen Auseinandersetzungen zwischen dem IWF und der EU zu geben: Der IWF beharrt anscheinend auf weiteren Rentenkürzungen, während Brüssel eher weitere Reformen beim Steuersystem haben möchte, von denen zumindest einige, so die Ausnahmen bei der Mehrwertsteuer, verhandelbar sind.
Primärüberschuss: SYRIZA will max. 1%, in den kommenden drei Jahren 2%, danach 3%. Die Gläubiger wollen 3% im Jahr 2015 und 4,5% in den Jahren danach (ab 2018: = 3,5%).
Mehrwertsteuer (aktuell 23%, Ausnahmen 6,5%): Gläubiger fordern die Erhöhung der Einnahmen aus der Mehrwertsteuer um eine Milliarde pro Jahr! SYRIZA möchte vier Mehrwertsteuersätze, u.a. Bücher, Theater und Arzneimittel 6%, grundlegende Nahrungsmittel, Wasser, Energie, Hotels und Restaurants 11% (derzeit 13%). Die Gläubiger fordern eine MwSt. auf Strom von 23%!
Steuererhöhungen: Erhöhung des Soli ab 30.000 Euro auf 2% vom Bruttoeinkommen, ab 50.001 auf 4%, ab 100.001 auf 6% und ab 500.000 auf 8%. Das ergibt Mehreinnahmen von 470 Millionen Euro. Außerdem soll eine Solidaritätsabgabe für Unternehmen mit „Nettoeinkommen“ über 5 Mio. Euro eingeführt werden sowie neue Luxussteuern auf Jachten, teurere Autos, Transportmaschinen etc.
Renten: Gefordert werden Ausgabendeckelung für Beamte und weitere Kürzungen bei den Renten (um 1,8 Mrd. Euro pro Jahr), vor allem auch die schrittweise Abschaffung der EKAS (Sozialhilfe für niedrige Rentner). Es herrscht Einverständnis über Verlängerung der Lebensarbeitszeit, was jedoch wegen der momentanen hohen Arbeitslosigkeit nicht aktuell ist! Das Verfassungsgericht erklärte die Rentenkürzungen teilweise für illegal, ebenso die Entlassung der 595 Putzfrauen. Geplant ist die Rückkehr zu den Tarifverträgen: „Primat der flächendeckenden Tarifverträge, gemäß der Rechtslage in anderen EU-Ländern“.
Privatisierungen: SYRIZA macht Zugeständnisse bei der Öffnung der Energiemärkte, des Transportwesens (Taxis) und der Pharmaindustrie, ggf. auch in Piräus.
Hierzu siehe auch den Artikel von Paul B. Kleiser in der SoZ / Juni 2015:
http://www.sozonline.de/2015/06/griechenland-100-tage-regierung-tsipras/