Schneller Maulkorb-Beschluss – aber die Tram-Nordtangente darf warten
Formal galt es, den im November eingebrachten Haushalt (s. Artikel „Stadtrat im Herbst) zu verabschieden – was auch gegen unsere Stimmen geschah – dann folgten Punkte wie die längst überfällige Projektgenehmigung für die Umweltverbundröhre in Neuhausen, u.a. der schon vorberatene Beschluss „Gegen jeden Antisemitismus – Anti-BDS…“, die Absegnung einer Befragung zur erneuten Erstellung eines Mietspiegel (gegen LINKE und Grüne), ein langer Grundsatzbeschluss zur Förderung des Radverkehrs (zahnloser Tiger!), zum Arnulfsteg und schließlich war auch die Wiederaufnahme der Planungen für die Tram-Nordtangente durch den Englischen Garten beantragt – wurde aber vertagt!
Der Haushalt 2018
Fast ohne Diskussion in den Fachausschüssen wurde von der CSU/SPD-Mehrheit der Haushalt 2018 beschlossen. Wie üblich lobten CSU und SPD sich für einen „Zukunftshaushalt“, während die Opposition ein „Verpennen der Zukunft“ beklagte. Das angekündigte „Einsammeln“ von 270 im Jahr 2017 genehmigten Stellen wurde durch einen Änderungsantrag von CSU und SPD umgesetzt. Einzige Erleichterung für die betroffenen Referate bei der Umsetzung ist, dass sie auch andere unbesetzte Stellen zur Kompensation anbieten können. Ansonsten verabschieden sich CSU und SPD hier aus jeder möglichen politischen Steuerung.
„Antisemitisumus-Beschluss – gegen die BDS-Kampagne“
Auf Grund eines Antrages von CSUSPD beschloss eine Mehrheit des Münchner Stadtrates, dass – unter dem unverdächtigen Label „Gegen jeden Antisemitismus“ – künftig in städtischen Einrichtungen keine Veranstaltungen mehr zulässig sind, die sich „mit den Inhalten, Themen und Zielen der BDS-Kampagne befassen, diese unterstützen, diese verfolgen oder für diese werben“. Dieser Beschluss soll auch auf alle städtischen Gesellschaften ausgedehnt werden, de facto wird er also für alle Veranstaltungsräume gelten, die städtische Zuschüsse erhalten. (s. dazu auch die gesonderte Erklärung des Kreisverbandes)
Begründet wird dies mit einer (strittigen) Herleitung, dass die BDS-Bewegung („boykott, divestment and sanctions) als Ganzes antisemitisch sei, das Existenzrecht des Staates Israel und die Stadt München in ihrem Verantwortungsbereich keine antisemitischen Veranstaltungen zulassen wolle. Zur Einschätzung geplanter Veranstaltungen soll künftig die „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ verwendet werden.
Das Ziel, antisemitische Veranstaltungen in städtischen Räumen zu verhindern, teilen wir im Prinzip. Allerdings schießt der Beschluss weit über dieses Ziel hinaus. Einmal ist es umstritten, ob es das Ziel der Boykottkampagne ist, die 1967 besetzten Gebiete für die Palästinenser zurück zu gewinnen, oder das Existenzrecht Israels insgesamt in Frage zu stellen. Die BDS-Kampagne ist jedenfalls sehr viel breiter aufgestellt, als dies in der Beschlussvorlage dargestellt wird.
Zudem wird mit dem Wortlaut des Beschlusses bereits die „Befassung mit Themen“ der BDS-Bewegung untersagt. Darin schlummert die reale Gefahr, dass der ganze Nahostkonflikt in Räumen der Stadt nicht mehr diskutiert werden kann. Denn jedes Thema im Konflikt zwischen Israel und Palästina, wie z.B. die einseitige Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch die USA, wird sicherlich auch ein Thema der BDS-Bewegung sein (können). Und da sollen jetzt städtische Mitarbeiter im Vorfeld jeder Veranstaltung prüfen, ob sich dahinter die BDS-Kampagne „verbirgt“? Den Schuh werden sich die Meisten nicht anziehen, sondern aus Vorsicht einfach keine Räume mehr vergeben.
Wir hatten zur Vorberatung in der Ausschusssitzung vom 6. Dezember einen Änderungsantrag eingebracht, der darauf abzielte, den Beschluss zurück zu führen auf das Ziel der Verhinderung antisemitischer Veranstaltungen. In weiteren Änderungsanträgen versuchten FDP-HUT und GRÜNE/RL wenigstens zu erreichen, dass eine bloße Befassung mit Themen der BDS-Kampagne möglich wird. Selbst dies wurde von SPDCSU ohne große Diskussion verweigert. Daraufhin gaben die GRÜNEN in ihrer Fraktion die Abstimmung frei.
In der Vollversammlung stimmten (nach hetzerischem Sermon von Stadtrat Richter) letztlich ÖDP, DIE LINKE, BIA und sechs Stadträtinnen und Stadträte der GRÜNEN gegen diesen Beschluss.
Undemokratische Referats-Neubesetzungen
Nach Pressemeldungen über die von der CSU geplante Neubesetzung des Kommunalreferats ohne jede Ausschreibung durch CSU-Stadträtin Christina Frank hatten wir, gemeinsam mit der ÖDP beantragt, vor jeder Neubesetzung der Referatsleitungen eine Ausschreibung durchzuführen. Nur dann ist im Stadtrat eine echte Auswahl möglich. Die rot-schwarze Stadtratsmehrheit und OB Reiter zeigten sich jedoch uneinsichtig: Da das Kommunalreferat in der Kooperationsvereinbarung der CSU zugesprochen wurde, und diese sich bereits auf Stadträtin Frank festgelegt habe, sei eine Ausschreibung sinnlos. Man werde dies auch während der restlichen Amtsperiode so halten. Dass damit keinerlei Auswahl möglich wird, und auch der künftigen Referentin die Möglichkeit genommen wird, ihre Ziele vorzustellen und um Unterstützung auch bei den anderen Parteien zu werben – das ist der Großen Kooperation völlig gleichgültig. Folgerichtig lehnten GRÜNE, LINKE, ÖDP und FDP – HUT die Beschlussvorlage ab. FDP und Grüne wollen das Kommunalreferat aber insgesamt auflösen und die Aufgaben auf verschiedene Referate verteilen.
Arnulfsteg kommt doch
Der Arnulfsteg sollte eigentlich schon fast fertig sein, aber die vor einigen Jahren beauftragte Baufirma scheiterte an der Aufgabe und ist mittlerweile wohl in Insolvenz gegangen. Durch die Bauverzögerung wird das Projekt jetzt um einige Millionen teurer, diese Zusatzkosten werden wahrscheinlich bei der Stadt hängen bleiben. Dies führte bei den betroffenen Bezirksausschüssen zu der Befürchtung, dass der Arnulfsteg am östlichen Ende der Donnersberger Brücke doch nicht gebaut wird. Damit wäre dann auch die letzte autofreie Querung der Bahngleise gescheitert. Doch die Vollversammlung blieb mit großer Mehrheit dabei: Der Steg soll kommen. Lediglich Bayernpartei und BIA stimmten dagegen.
Trambahn Nordtangente durch den Englischen Garten
Nach der überraschenden Einigung zwischen Ministerpräsident Seehofer und OB Reiter schien es so, als könnten die Planungen für eine Trambahn-Nordtangente durch den Englischen Garten endlich wieder aufgenommen werden. Für eine entsprechende Vorlage in der Vollversammlung hatte sich die SPD vorab vergewissert, dass eine knappe Mehrheit aus SPD, Grünen/RL, ÖDP und LINKE zustande kommen werde. Die ÖDP hatte zudem einen Ergänzungsantrag vorbereitet, um die vernetzende Wirkung nach Westen und Norden zu verstärken.
Doch dann verließ die SPD erneut der Mut: Nachdem Stadtrat Pretzl (CSU) um eine qualifizierte Vertagung in die nächste Vollversammlung gebeten hatte, es seien noch nicht alle offenen Fragen beantwortet, stimmte die SPD dieser Vertagung zu. Die offenen Fragen der CSU und auch die Auswirkungen des ÖDP-Antrags sind aber keinesfalls über den Jahreswechsel zu beantworten, sondern allenfalls im Rahmen der weiteren Planungen: Gestaltung der Trambahngleise im Englischen Garten und in Schwabing, Massivität der Eingriffe in den Englischen Garten, Querungen für Fußgänger und Radfahrer, Befahrbarkeit für Rettungsfahrzeuge … So wird es auch im Januar die gleiche politische Konstellation geben. Nur dass dann wieder sechs Wochen vergangen sind, ohne dass etwas zur Verbesserung des ÖPNV angeschoben wurde.
Jürgen Lohmüller (mit einem Dank an Brigitte Wolf für ihre Berichte aus der VV)