Unser Kreissprecher und Spitzenkandidat zur Landtagswahl, Ates Gürpinar, im Interview mit der AZ-Nachrichtenchefin Natalie Kettinger in der gestrigen Ausgabe.
München – Ates Gürpinar (33) ist bayerischer Landes- und Münchner Kreissprecher der Linken und führt die Partei gemeinsam mit Eva Bulling-Schröter in den Landtags-Wahlkampf. Hier äußert er sich im AZ-Interview.
AZ: Herr Gürpinar, vor 100 Jahren haben die Bayern über Nacht den König verjagt und die Republik ausgerufen. Wie viel revolutionäres Potenzial steckt heute noch im Freistaat?
ATES GÜRPINAR: Das widerständige Bayern gab es ja immer. Welche Revolten es allein wegen der Bierpreise gab! Da war außerdem der Kampf für die Abschaffung der Studiengebühren – und zuletzt der Kampf gegen TTIP und CETA, bei dem 40.000 Menschen auf der Straße waren. Es gibt das Bayern der Menschenfreundlichkeit, das in München am Bahnhof den Ankommenden geholfen hat. Dieses Bayern zu stärken, sollte das Ziel sein – und nicht dieses CSU-Bayern-Amigo-Spezltum. Deshalb stünde es doch in einer schönen Tradition, wenn 100 Jahre nach der Revolution wieder diejenigen in den Landtag kommen, die damals den Freistaat ausgerufen haben: die Sozialsten.
Im Moment sieht es allerdings nicht danach aus. Ihre Partei liegt in einer aktuellen Umfrage bei 2,8 Prozent.
Was mich optimistisch stimmt: Vor den Bundestagswahlen lagen wir in den Umfragen auch immer unter fünf Prozent und am Ende hatten wir in Bayern dann 6,1 Prozent und so viele Stimmen wie noch nie: Über 450.000 Menschen haben der Linken ihre Stimme gegeben. Das wäre vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen.
Die Angst vor den linken „Kinderfressern“ ist nicht mehr da. Die Leute haben gesehen: Die kämpfen für eine bessere Pflege, bezahlbaren Wohnraum und denen gebe ich meine Stimme, weil sie das Widerständige in Bayern verkörpern. Das ist momentan im Landtag nicht vertreten. Es gibt keine Partei, die eine Koalition mit der CSU ausschließt – obwohl die CSU ungleich rechter ist als zu früheren Zeiten. Ich will Horst Seehofer nicht verteidigen – aber Markus Söder ist schlimmer.
Warum?
Er ist noch ein Stück weiter rechts. Und manchmal einfach unfähig. Die Verscherbelung der GBW-Wohnungen einhergehend mit dem späteren Versprechen von 2.000 oder 4.000 Wohnungen bis 2025 – das ist doch lächerlich. Dafür würde man in München aus der Stadt gejagt. Genau wie für die unsägliche Strukturpolitik in Bayern: Die hat zur Folge, dass die Menschen aus Hof wegziehen müssen, weil sie dort keine Arbeit finden – und die Münchner wegziehen müssen, spätestens, wenn sie in Rente gehen, weil sie dort die Miete nicht mehr zahlen können. Das sind alles Sachen, die Söder mit verbrochen hat.
Ates Gürpinar im Gespäch mit AZ-Nachrichtenchefin Natalie Kettinger. Foto: Daniel von Loeper
Wofür steht die Linke im Freistaat?
Für Soziale Gerechtigkeit. Dieses Thema ist immer das erste, das unter die Räder kommt – das hat man gerade erst bei den Koalitionsgesprächen gemerkt. Aber gleichzeitig gibt es ein zunehmendes Interesse daran. Auch in Bayern geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander: Laut Statistik ist die Lebenserwartung der Menschen im vergleichsweise armen Hof um sieben Jahre geringer als die der Menschen im reichen München oder in Starnberg. Und hinzukommt dieses ganze Überwachungs-Ding: Das neue Polizeiaufgabengesetz, gegen das wir auf jeden Fall etwas tun wollen, nicht nur auf der Straße, sondern auch vor Gericht.
Warum wollen Sie klagen?
Durch den Begriff der „drohenden Gefahr“, der dort als Handlungsgrundlage eingeführt werden soll, ist überhaupt nicht mehr bestimmbar, wer unter Beobachtung fällt. Es ist gar nicht mehr garantiert, dass Gespräche mit Anwälten oder Ärzten nicht abgehört werden. Dinge, die unter die Verschwiegenheitspflicht fallen.
Was befürchten Sie?
Das Gesetz würde zu einer Vermischung von Polizei und Geheimdienst führen: Die Polizei kann immer mehr Sachen machen, ohne sich rückzuversichern, sogar Beweismittel vernichten. Dieses Gesetz ist verfassungsfeindlich – und das eklige daran ist, dass all das nicht gemacht wird, weil es irgendjemand für wirklich notwendig erachtet.
Sondern?
Selbst die Polizeigewerkschaften haben doch schon – durch die Blume – gesagt, dass man das in dieser Form nicht braucht. Es geht der CSU nur darum, ein Zeichen zu setzen, um die Rechten wieder einzufangen. Aber wenn man die ganze Zeit nach rechts Stimmung macht, führt das nicht dazu, dass die Rechten weniger gewählt werden: Im Moment hört man von der AfD in Bayern so gut wie nichts – trotzdem sind sie in den Umfragen gut. Im Zweifelsfall wählen die Leute eben das Original.
Mit welchen revolutionären Ideen wollen Sie dem begegnen?
Wir fordern 40.000 statt 4.000 Wohnungen pro Jahr, und zwar im sozialen Wohnungsbau. Wir wollen einen kostenfreien ÖPNV, stufenweise: erst sollen die Tickets günstiger werden, dann kostenlos für Schüler, Azubis und Ältere – und schließlich für alle. Und wir wollen, dass 15.000 Pflegekräfte in Bayern zusätzlich eingestellt werden, und zwar zu einem Mindestlohn von 14,50 Euro.
Wie wollen Sie das finanzieren?
Das Geld dafür ist da, wir haben einen immensen Steuerüberschuss. Und es wäre noch mehr da: Söder hat dafür gesorgt, dass es immer weniger Steuerprüfer in Bayern gibt. Dabei bringt jeder Steuerprüfer 1,4 Millionen.
Es herrscht Fachkräftemangel. Wo wollen Sie 15.000 Pflegekräfte finden?
Die Menschen wären da: Wenn man ihnen genug Geld gibt, und auch Geflüchteten die Möglichkeit eröffnet, eine Ausbildung zu beginnen, dann ist das machbar. Man kann sich nicht erst darüber beschweren, dass zu viele Menschen kommen, sie anschließend vom Arbeitsmarkt ausschließen und sich dann über den Fachkräftemangel beklagen. Natürlich dauert es, die Menschen auszubilden – aber es ist ein guter Weg zur Integration.
Damit ist das Problem der strukturellen Ungleichheit noch nicht gelöst. Was wollen Sie dagegen unternehmen?
München, Nürnberg oder Erlangen können nicht immer weiter wachsen. Deshalb muss man den Menschen auf dem Land eine Grundstruktur bieten: Einkaufsmöglichkeiten, medizinische Versorgung, Kultur. Der Freistaat muss Geld für Landärzte und Ärztehäuser in die Hand nehmen.
Wie soll das in der Umsetzung konkret aussehen?
Es braucht kommunale Ärztehäuser. Ärztinnen und Ärzte wie Kommunen sind durch den Verwaltungsaufwand momentan überfordert. Deswegen ist das Land Bayern in der Verantwortung, die Kommunen beim Aufbau und dem Betrieb solcher Einrichtungen zu unterstützen, auch finanziell. Dafür planen wir eine Landarztförderung für Kommunen in Höhe von 200 Millionen Euro ein. Außerdem muss der Freistaat Universitäten, Hochschulen und Wissenschaft auf dem Land ansiedeln. Tatsächlich ist in Niederbayern oder der Oberpfalz investiert worden. Aber das meiste Geld wurde dorthin gesteckt, wo es schon einigermaßen gut läuft: nach Regensburg zum Beispiel. Ein weiterer Punkt ist die Digitalisierung: Du musst durch Bayern mit dem Zug fahren können, und dabei überall telefonieren können und Internet haben.
Um dem zu begegnen hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer doch jetzt die Funkloch-App gestartet.
Ja genau: Und die muss man immer dann anfunken, wenn man gerade ein Funkloch hat, oder? Das ist doch absurd.
Wie stark ist die Linke in Bayern im Moment?
Wir haben unglaubliche 3.300 Mitglieder. Die Zahl hat sich im letzten Jahr um fast 1.000 vermehrt. Etwa ein Drittel der neuen Mitglieder ist unter 30. Wir sind mit einem Durchschnittsalter von 44 Jahren mittlerweile der jüngste Landesverband Deutschlands.
Was lockt die Jungen zur Linken?
Man kann zwei, drei Motive feststellen: klare Kante gegen Rechts, das hat bei Trump angefangen und ging weiter als Zeichen gegen die Stärkung der AfD. Außerdem sind viele Leute aus den Care-Berufen dazugekommen, also Erzieherinnen und Erzieher oder Beschäftigte aus dem Pflegebereich, weil wir eine gute Politik für die Menschen fordern, die dort arbeiten und sie mitmachen wollen, etwas verändern, auch gegen Widerstände.
Was tun Sie, wenn am Abend des 14. Oktober plötzlich feststeht: Die CSU hat keine absolute Mehrheit mehr – und Sie sind im Landtag?
Ich habe versprochen, dass ich die Lederhose anziehe! Das muss ich auf jeden Fall machen. Aber im Ernst: Es wäre ein riesiger Grund zur Freude, wenn sich am bayerischen Landtag, dem Herzen des Freistaats zeigt: Es geht nicht nur nach rechts – sondern auch nach links.