Stadtrat geht nach Vollversammlung am 26. Juli in Sommerpause
Sozialgerechte Bodennutzung, Städt. Klinikum München GmbH, Markthallen – alles wird „investorengerecht“!
Mit einer Marathon-Tagesordnung – rund 230 Punkte – schloss die Stadtratsvollversammlung das erste Halbjahr 2017 am 26.Juli ab und geht bis Anfang September in die Sommerpause. Die unsinnige Menge an TOPs rühren von einem ebenso unsinnigen Beschluss: alles was in den Monaten seit dem letzten Haushaltsbeschluss im Dezember an „haushaltswirksamen Beschlüssen“ gefasst wurde, hat nur empfehlenden Charakter und muss im Juli nochmals zusammenfassend im Lichte der Finanzlage als Nachtragshaushalt gesondert abgestimmt werden! Ein Wahnsinns-Bürokratieaufwand, Effekt ist Null. Denn bei jeder Vorlage mit Stellenanforderungen der Verwaltung machten CSUSPD es sich zum Ritual, jeweils ein Drittel bis zur Hälfte der wohl begründeten Stellen rauszukürzen. Das kontrastiert mit dem ebenfalls vorgelegten Jahresabschluss 2016: wieder einmal hat die Stadt einen Vermögenszuwachs von 756 Mio. Euro erwirtschaftet, der Plan sah ein Minus vor von 130 Mio. Euro – mit per Saldo also 900 Mio. Euro lag der Plan also daneben, das kritisierte unsere Stadträtin Brigitte Wolf scharf und fragte, welche Aussagekraft solch ein „Plan“ dann eigentlich noch haben sollte.
Aber der Reihe nach – natürlich nur die wichtigsten Themen.
Das vollmundig angekündigte „Integrierte Handlungsprogramm Klimaschutz in München“, kurz IHKM, enthielt zwar das Ziel, München bis 2050 klimaneutral zu gestalten, enthält aber kaum ambitionierte konkrete Ziele – etwa den Ausstieg aus der Steinkohleverbrennung – und scheint auch nicht so eilig zu sein. Es wurde in die September-Vollversammlung vertagt!
Das leidige Thema „Gesundheit“ – im Mittelpunkt dabei die Städt. Klinikum München GmbH – kam in verschiedenen Häppchen vor. Das große Einsparprogramm für die StKM – Reduktion des angeblichen Bettenüberhangs um 20 %, Reduktion des Pflegepersonals um 8% – nach Handschrift der Boston Consulting Group wird gerade überlagert durch Bauverzögerungen und dem Aufdecken von Fehlplanungen, wie z.B. der viel zu klein geplanten neuen Geburts- und Kinderstation im Klinikum Schwabing. Wegen der „überraschend hohen Nachfrage“ (!) – wer hätte das in einer rasch wachsenden Stadt vermutet – muss die Geburtsstation nun doch erweitert werden. Von den ebenso rasch wachsenden Zahl hochbetagter und daher meist „multimorbider“ Patienten ist kaum noch die Rede. Die wichtigste Forderung bleibt daher: Geburtsstationen ausbauen und Zentren schaffen für Altersmedizin!
Im Rahmen der Schulbau-Offensive 2013-2030 wurden für die zweite Phase – 32 Schulen mit 38 Projekten – nunmehr schlappe 2,4 Mrd. Euro „in Marsch gesetzt“, und dabei wurden im Rahmen des Kürzungs-Hypes von CSUSPD zahlreiche der erforderlichen Stellen für die Bauplanung und für die buchhalterische Abwicklung – das korrekte Einfordern von Zuschüssen usw. ist bei solchen Summen scheinbar nicht so dringlich – einfach gestrichen!
Ein echtes finanzielles Sorgenkind sind eigentlich die SWM Stadtwerke München GmbH. Aber die Risiken in der Nordsee (!) bei den kostspieligen Rechten für Öl- und Gasbohrungen werden einfach schöngeredet, oder – wie diesmal – gesellschaftsrechtlich glitzernd verpackt: die Bayerngas Norge AS, Tochter der SWM GmbH, geht eine „strategische Partnerschaft“ ein mit einem britischen Konzern – auch die SZ berichtete über die geplante Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, die geplante Investitionssumme wird nicht veröffentlicht. Die Risiken sind damit zwar verschoben, dafür hat der Stadtrat aber keinerlei Kontrollmöglichkeiten mehr. Aber vielleicht steigen ja durch Trumps Sanktionspolitik gegen Russland die Gaspreise endlich wieder und alles „rechnet sich“ wundersam – auf Kosten der Gebührenzahler, wem denn sonst!
Münchens heißester Dauerbrenner ist nach wie vor das Wohnungsdesaster. Eines der kleinen der Stadt möglichen Instrumente zur Milderung des Baubooms von Luxuswohnungen und der Sicherung notwendiger Infrastruktur – Platz für Kitas, Schulen, Sportplätze, Stadtbibliothek, Volkshochschule usw. – ist die SoBoN Sozialgerechte Bodennutzung. Dabei wird einem Investor Baurecht eingeräumt, das an verschiedene Bedingungen geknüpft wird: so wird versucht – auf dem Verhandlungsweg zwischen Planungsreferat und Bauherrn – einen möglichst hohen Anteil preisgebundener Wohnungen mit möglichst langer Bindungsfrist zu vereinbaren, möglichst viel Fläche für Infrastruktur zu reservieren. Bei allen Faktoren musste die Stadt – angeblich – auf Kompromisse eingehen, die uns unakzeptabel erscheinen. DIE LINKE hat daher diese neuen Richtwerte abgelehnt und einem sehr vernünftigen und ausdifferenzierten Antrag der Grünen zugestimmt. Denn wenn ein Investor unter wirklich sozialen Bedingungen nicht bauen will, warum sollte die Stadt nicht selber bauen? Aber über den Horizont von GEWOFAG und GWG reicht der Mehrheitswille im Stadtrat nicht hinaus.
Geradezu putschartig wurde die Richtung der jahrelangen Diskussion um den Komplex „Großmarkthalle in Sendling“ – der Grundsatzbeschluss fiel schon im Jahr 2009 – verdreht. Hintergrund: die Hallen des städtischen Eigenbetriebs Markthallen München (MHM), die aus dem Jahr 1905 stammen und im Krieg stark beschädigt wurden, sollen teils aufgegeben werden, teils – weil denkmalgeschützt wie die Halle 1 oder das Kontorgebäude – einer neuen Nutzung zugeführt werden. Dafür sollte auf der Ostseite der Talkirchner Straße eine neue, zweckmäßige, gut kühlbare und erreichbare Halle für die rund 100 Einzelhändler errichtet werden, für den Umbauprozess sollte ein Generalunternehmer verpflichtet werden. Die Eigentumsverhältnisse von Flächen und Hallen – derzeit eine organische Mischung aus Mietern der Deutschen Bahn, städt. Eigenbetrieb und langfristig (bis 2040!) vermieteten Kühlhallen – sollten unangetastet bleiben. Plötzlich aber zaubern CSUSPD ein Investorenmodell aus dem Hut, ein undurchsichtiges Konstrukt aus „öffentlich-privater Partnerschaft“ und privatem Profitinteresse. Rolle der Stadt: die investiven Grundlagen zu schaffen für die möglichst profitable Nutzung durch die Investoren. Begründung (Alexander Reissl, SPD Fraktionsvorsitzender): wir wissen doch gar nicht, ob die bisherigen Händler all das überhaupt wollen und welche Mieten sie zu zahlen bereit wären! Dabei haben sich 80% der Händler zu einer Initiative zusammengeschlossen, weil sie bleiben wollen, weil sie Stammkunden haben in Form von hunderten von kleineren Einzelhändlern und Gastronomiebetrieben, die sich täglich frühmorgens mit frischem Obst und Gemüse, aber auch Kartoffeln, Zwiebeln und Fisch versorgen wollen.
Diese Vollversammlung scheint ein trauriges Kapitel zu eröffnen für eine investorengerechte Stadt, hoffentlich kein Abschied für immer vom Bild einer sozialen und vielfältigen „Weltstadt mit Herz“!
Jürgen Lohmüller