Neuperlach, Nailastraße – hier ist die ominöse Mauer zu finden. Sieben (7!) Bewohner*innen der Reihenhäuser in ca. 100 Meter Abstand zur geplanten Unterkunft haben vor Gericht einen Lärmschutz erstritten. Damit der Bau der Unterkunft für Geflohene sich nicht noch weiter verzögert, sah sich die Stadt gezwungen, einen „Kompromiss“ zu finden. Ob dieser – im Wortsinn Stein gewordene – Kompromiss wirklich seinen Namen verdient, lässt sich allerdings <rel=“attachment wp-att-4024″>bezweifeln. Ist doch ein Riegel entstanden, der eher an ein massives Bollwerk denn als Schutz vor Lärm wirkt. Die A8 in eineinhalb Kilometer Entfernung ist Tag und Nacht stark befahren und zum Teil achtspurig ausgebaut. Lärmschutz wurde hier von den Anwohner*innen nicht gefordert. Das Gewerbegebiet in direkter Nachbarschaft und damit in Sicht- und Hörweite ist erschlossen – auch hier wurde kein Lärmschutz gefordert. Doch jetzt kommen Menschen – 160 sollen es einmal werden – und sie kommen als Geflüchtete. Eine Lärmschutzmauer muss her! Eine Mauer, vier Meter hoch, 100 Meter lang, für Spiel und Sport nicht zu gebrauchen!
An anderer Stelle genügt für eine Streetball-Anlage (!) eine „Lärmschutzwand“ aus zehn Eiben (vergl. SZ vom 14.11.16); hier wird eine mächtige Mauerbarriere errichtet gegen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – obwohl sowohl der Streetball-Platz als auch der ursprünglich stattdessen geplante Beachvolleyball-Platz gestrichen wurde. Andernorts genügt eine Glaswand, um Autoverkehr abzuschirmen – damit Sichtbeziehungen erhalten bleiben; die werden hier jedoch offensichtlich nicht gewünscht.
Dank dem stellvertretenden Bezirksausschussvorsitzenden für Ramersdorf-Perlach, Guido Bucholtz, ist jetzt dieses Thema und das Ausmaß der Barriere einem größeren Kreis von Münchner*innen bewusst geworden. Zusätzliche Bekanntheit erreichte das Bauwerk durch die Zeitungsmeldung, dass der Staatsschutz ermittelt, da Unbekannte den Fremdkörper durch einen „mehr als einen Meter hohen Schriftzug beschmiert“ haben (SZ vom 9.11.). Auf der zu den Anwohner*innen zeigenden Seite war zu lesen: „Rassismus pur“ und „gegen Grenzen“. Dass sich Thomas Kauer, der Vorsitzende des Stadtteilgremiums, über diese Aktion der Unbekannten schockiert zeigte, spricht Bände. Dass Guido Bucholtz, der die Schandmauer in einem Video-Film (http://film.neuperlach.de/naila/naila-mauer.mp4) dokumentiert hatte, sich seither einem wahren Spießrutenlauf ausgesetzt sieht, ist bezeichnend; so wurde ihm u. a. vom CSU-Landtagsabgeordneten Markus Blume der sofortige Rückzug aus dem Bezirksausschuss nahe gelegt. Immerhin: früher wurden die Überbringer der schlechten Nachrichten geköpft!
Diesen schändlichen Mauerbau nahm die Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco mit ihrem Team am 9. November zum Anlass für eine Satire-Aktion, die von vielen Prominenten unterstützt wurde: der „Maueröffnung am Checkpoint Ali“. Der Tag hätte nicht besser gewählt sein können! Auch wenn natürlich ein Vergleich mit der Berliner Mauer unzulässig ist, geht es doch hier wie da um Ausgrenzung und Abschottung.
Zum Grenzgang kamen dann neben allerlei politischer Prominenz, wie etwa Roland Fischer (stellvertretender Vorsitzender der SPD München), Margarethe Bause (Fraktionsvorsitzende, MdL Grüne) und Ates Gürpinar (Sprecher DIE LINKE. München und Bayern) auch Kammerspiel-Intendant Matthias Lilienthal, der „Mauerfilmer“ Guido Bucholtz sowie eine größere Anzahl interessierter „Mauerspechte“ aus verschiedenen Stadtteilen. Zur feierlichen Eröffnung der „Grenze“ am „Checkpoint Ali“ gegen 16 Uhr erschienen darüber hinaus auch zahlreiche Medienvertreter*innen.
Mit Blumen und Rotkäppchen-Sekt wurde die auf zwei Stunden angelegte Maueröffnung begrüßt. Die Reaktionen der Anwesenden auf die Schandmauer waren (fast) einhellig ablehnend – auch die von Seiten der Bewohner*innen des betroffenen Viertels. Immer wieder hörte man den Ruf: „die Mauer muss weg!“ Ob diese Forderung jedoch in Erfüllung geht, bleibt eher zweifelhaft. Kaum vorstellbar, dass die Stadt München ein Bollwerk, dass nach ersten Schätzungen des Baureferats mindestens 200.000 Euro kostet, einfach so wieder abreißen lässt und damit eventuell noch ein weiteres Gerichtsverfahren in Kauf nimmt. Zu erwägen wäre vielmehr, ob ein „Runder Tisch“, an dem alle Beteiligten (Anwohner*innen, Bürger Initiativen, Bezirksausschuss und die Träger der betreffenden Unterkunft) Maßnahmen beraten, die dazu geeignet sind, der abweisenden Mauer eine neue – einladende – Funktion zu geben. Vorstellbar wäre zum Beispiel eine Wand zum Klettern bzw. Bouldern, die Nutzung für Basketball oder auch der Versuch, die „Klagemauer“ durch Um- oder Rückbau mittels Glaselementen verbindend und einladend zu gestalten (Türen zur Begegnung).
Die Unterstützung des BA-Vorsitzenden Thomas Kauer für diese Vorgehensweise sollte eigentlich sicher sein, plädierte er doch (nach der Fertigstellung der Mauer!) dafür, „.. über die Gestaltung (zu) reden, aber bitte doch erst, wenn beide Anwohnerseiten dabei sind“. Und weiter „Über den Kopf der 160 minderjährigen Flüchtlinge, für die die Unterkunft gedacht ist, hinweg zu entscheiden, das verstehe er nicht unter Integration“ (Zitate SZ vom 9.11.16).
Da kann man nur hoffen, dass alle Beteiligten nochmals einen kritischen Blick auf dieses Machwerk werfen, die Geflüchteten – wenn sie dann endlich einziehen – willkommen heißen und gemeinsam mit den Jugendlichen etwas, was der Abgrenzung dient, zu einem verbindenden Element für Neuperlachs „Alt“- und „Neu“-Bürger*innen umzugestalten.
Annemarie Fingert, DIE LINKE. München