Von Nicole Gohlke
Das Wort „alternativlos“ hätte es ja schon mehrfach verdient gehabt, zum Unwort des Jahres gekürt zu werden. Wir begegnen ihm meistens, wenn in der Politik verhindert werden soll, dass Entscheidungen demokratisch diskutiert und verändert werden. Denn machen muss man schließlich immer das, zu dem es keine Alternative gibt. Und nun begegnen wir ihm also bei der Diskussion um die zweite Stammstrecke – der Tieftunnel ist für Innenminister Joachim Hermann „alternativlos“.
Doch um was geht es dabei eigentlich im Kern? München gehört zu den großen Wachstumsregionen Deutschlands – jedes Jahr kommen etwa 30.000 Menschen neu hinzu. Und regelmäßig fallen auf dem 45 Jahre alten Netz die Züge aus.
Das Stadtzentrum ist natürlich allen Menschen wichtig. Doch die Millionen Einwohnerinnen und Einwohner müssen nicht täglich zum Marienplatz, sondern in der Regel zur Arbeit, zur Schule oder Hochschule, müssen Besorgungen erledigen oder zum Arzt. Und sie wohnen auch nicht alle am Karlsplatz, sondern eben auch in Hadern, Giesing, Neuhausen und Neuperlach. Es wäre an der Zeit, ein umfassendes Mobilitätskonzept zu entwickeln, das allen Menschen in der Stadt gerecht wird.
Doch was machen die Spitzen von Stadt und Land? Im Stadtzentrum planen sie eine zweite Stammstrecke als Tieftunnel. Innerhalb des Zentrums wird es damit dann im besten Fall zwar 10 Minuten schneller gehen, aber den großen Herausforderungen bei der städtischen Mobilität wird es in keiner Weise gerecht.
Es wird stattdessen die ohnehin schon fatale Konzentration des S-Bahn-Verkehrs auf das Stadtzentrum intensivieren – statt Entlastung beispielsweise über ringförmige S-Bahn-Netze zu schaffen. Der Bau von Bahnhöfen in über 40 Meter Tiefe ist zudem mit erheblichen Gefahren verbunden und wegen vielfacher Rolltreppen letztlich als Fahrgast-feindlich zu bezeichnen.
Und schlimmer noch – schon jetzt zeichnet sich eine unfassbare Verschwendung von für ganz Bayern wichtigen Steuermitteln ab: 2011 wurden für die zweite Stammstrecke 1,77 Mrd. Euro veranschlagt, 2013 waren es bereits 2 Mrd. Euro und heute steht die Schätzung bei 3,84 Mrd. Euro. Und dabei wurde mit dem Bauen noch nicht einmal angefangen. Und wir wissen, wie schnell bei einer 10-jährigen Bauzeit die Kosten weiter explodieren können – ebenso wie es auch beim S-Bahn City Tunnel in Leipzig oder im Fall von „Stuttgart 21“ geschehen ist.
Und die eingeplanten Gelder, die auf Jahrzehnte in die zweite Stammstrecke fließen, werden natürlich in anderen Bereichen fehlen. Seit Jahren beklagen die Pendlerinnen und Pendler in den Regionen um München, dass es an Direktverbindungen außerhalb der City fehlt. Seit Jahren monieren die stark wachsenden Ränder Münchens, dass sich der Anschluss in die Innenstadt verschlechtert. Und für diese Problemlagen verbessert der neue Tunnel rein überhaupt nichts.
Doch zu Joachim Hermanns „Tunnelwahn“ gibt es Alternativen! Das Aktionsbündnis S-Bahn München zum Beispiel hat solche Alternativen entwickelt. Denn statt einen neuen Tunnel zu bauen, könnte man 2,5 Mrd. Euro auch anlegen in 60 neue S-Bahn Züge für Entlastung beim Berufsverkehr, in 300 Kilometern zusätzlichen Gleisen, in 20 neuen Weichen für einen Ersatzbetrieb bei Störfällen und 600 neu zu elektrifizierenden Gleis-Kilometern bayernweit.
Die Stammstrecken-Tieftunnel-Variante ist die teuerste und gleichzeitig nutzloseste für den öffentlichen Personennahverkehr.
Allerdings ist dieses Projekt noch nicht ganz durch. Die Kosten sind seit der Zusage, dass der Bund einen Teil übernimmt, in die Höhe geschnellt: DIE LINKE im Bundestag hat nun angefragt, auf welcher Grundlage der Bund Gelder bereitgestellt hat. Sollten die Gelder tatsächlich aufgrund eine falschen Berechnung erstattet worden sein, würden wir auch vor einer Klage nicht zurückschrecken. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen besseren Öffentlichen Nahverkehr verdient!