Obwohl die geplante Bürgerversammlung am 22. Februar in Haidhausen nicht stattfinden konnte, weil der dafür vorgesehene Raum viel zu klein war, wollten es sich die Beteiligten (Bahn AG, Freistaat Bayern und LH München) am 5.4.2017 nicht nehmen lassen, zu beweisen, was uns immer und ewig von Baden-Württemberg und Berlin-Brandenburg unterscheiden wird, nämlich: „Bayern kann Großprojekte“ (so der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer).
Zuvor jedoch, um 14 Uhr, fand auf dem Marienplatz die Protestkundgebung der „Bürgerinitiative Haidhausen“ statt, die nochmals den verkehrspolitischen Größenwahn anprangerte und effizientere, kostengünstigere und verträglichere Alternativen aufzeigte. Unterstützt wurde sie dabei u. a. von der Partei DIE LINKE.München, den Grünen, vom Bund Naturschutz und von Vertretern des Münchner Forums.
Ingeborg Michelfeit, die Vorsitzende der Bürgerinitiative, wies darauf hin, dass der 5. April 2017 alles andere als ein Festtag sei. Sollen doch mit dem zweiten Tieftunnel 3,8 Milliarden Euro vergraben und ein Stadtviertel mit einer gigantischen Baustelle lahmgelegt werden – obwohl dies verkehrspolitisch keinerlei Sinn macht: ein S-Bahn-Südring würde nur einen Bruchteil der veranschlagten Summe kosten und bereits vom ersten Spatenstich an eine Entlastung und sinnvolle Alternative zur Durchquerung der Innenstadt sein.
Prof. Wolfgang Hesse (Mitglied im Münchner Forum) kritisierte, dass der Tunnelbau-Lobbyismus über jedwede Vernunft und vor allem über die Interessen der Bürgerinnen und Bürger gesiegt habe, die mit alternativ-faktischen Parolen getäuscht worden seien. Dabei sei es leider so: sündhaft teuer werde der Tunnelbau; bis zu 3,8 Milliarden Euro für eine Parallel-Strecke mit nur drei Haltestellen, die keine einzige neue Umsteigeverbindung bringt, stattdessen eine Takt-VERSCHCHLECHTERUNG für die S-Bahn-Außenäste, und das alles im günstigsten Fall nach zehnjähriger Bauzeit. Wem also – außer der Bauindustrie – solle der Tunnelbau dienen? Die Haltestelle am Hauptbahnhof werde darüber hinaus in 40 Metern Tiefe liegen, was im Falle einer notwendigen Evakuierung Feuerwehr, Polizei, Notärzte und nicht zuletzt betroffene Fahrgäste vor enorme Probleme stellen werde: Aufzüge dürfen nicht benutzt werden und Rolltreppen können die Vielzahl von Personen nicht schnell genug aus einem möglichen Gefahrenbereich transportieren . Darüber hinaus werden weiteren dringend notwendigen S-Bahn-Verbindungen (etwa dem Nord- und Südring) und der notwendigen Ertüchtigung von Außenästen die finanziellen Mittel entzogen. Dabei sind es gerade die Außenäste, die die Störungen in die Stammstrecke tragen, da sie heute immer noch auf den zweigleisigen Ausbau oder die Trennung vom Güter- und Fernverkehr warten und ohne öffentliche Gelder weiter werden warten müssen.
Ateş Gürpinar, Bundestagskandidat und Landessprecher der Partei DIE LINKE: „Wir können das Geld nur einmal ausgeben und damit wird der Tieftunnel zum doppelten Problem: Schon jetzt sehen alle, dass dieses gigantische Bauvorhaben die Probleme in München nicht löst. Somit sind die öffentlichen Mittel offensichtlich an falscher Stelle ausgegeben worden. Gleichzeitig seien diese Mittel eigentlich für Gesamtbayern vorgesehen und fehlten nun “in der Fläche“. Dies bedeute letztlich: Während in München das Verkehrschaos nicht kleiner wird, wird das flache Land weiter abgehängt. Und es werde ja immer deutlicher, dass der Nutzen die immens angestiegenen und mit Sicherheit weiter steigenden Kosten nicht tragen wird „Wir haben hierzu bei der Bundesregierung nachgefragt, aber bis heute keine Antwort erhalten. Wenn sich bestätigen sollte, dass die Unterstützung des Bundes aufgrund falscher Berechnungen zustande gekommen ist, werden wir vor Gericht ziehen“. Es habe aber den Anschein, dass diese Stammstrecke auf Biegen und Brechen durchgesetzt werden soll, nicht obwohl, sondern gerade weil es ein Mammutprojekt ist, weil es ein Vorzeigeprojekt ist, weil es so teuer ist – frei nach dem Motto des Ministerpräsidenten ´Bayern kann Großprojekte´! Und ich füge hinzu: gleichgültig wie unsinnig diese sind.“
Thomas Kantke wies in seinem Wortbeitrag – wie schon so oft – auf die zahlreichen Planungsfehler hin und kritisierte die Rolle der (Print-)Medien , die er als „Selektionspresse“ bezeichnete. Die Berichterstattung über die Protestkundgebung am nächsten Tag bestätigte diese Einschätzung: die Rede war von 30 bis 50 Teilnehmenden, zitiert wurde ausschließlich der Landtagsabgeordnete der Grünen, Markus Ganserer, die Münchner LINKE wurde mit keinem Wort erwähnt, obwohl wir mit mehr als einem Dutzend Mitgliedern deutlich sichtbar anwesend waren.
Im Anschluss an die Kundgebung besuchten einige Teilnehmende mit ihren Protestschildern das „Bürgerfest“ auf dem benachbarten Marienhof, um mit den dortigen Gästen und – womöglich – auch mit den Veranstaltern und geladener Prominenz zu diskutieren. Auffallend war, dass es zwar Schnittchen und Freigetränke gab – allerdings nicht für´s gemeine Fußvolk, das sich mit Verpflegung in der üblichen Innenstadt-Preislage begnügen musste. Doch daran wird es sicher nicht gelegen haben, dass die weitaus meisten Besucher*innen des „Bürgerfestes“ dem zweiten Tieftunnel skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden und uns Gegner*innen in der Argumentation fast einhellig zustimmten. Mit den Veranstaltern konnte leider nicht diskutiert werden, da diese vor zu viel Normalpublikum abgeschirmt wurden
Noch könnte jedoch die Vernunft siegen und ein Umschwenken auf sofortige, preiswertere Verbesserungen (S-Bahn Südring) möglich sein, denn der einzige Anstich, der an diesem schwarzen Mittwoch, dem 5. April stattgefunden hat, war bisher der Anstich von Bierfass und kaltem Buffet!
Deshalb gilt nach wie vor: Lieber OBEN und BILLIG als UNTEN und TEUER
Annemarie Fingert, DIE LINKE.München